Militärische Maßnahmen, harte Zeiten, weitreichende Fragen

Nord- und Südossetien

14. August 2008
von Iris Kempe
Von Iris Kempe

Eriwan, 13.8.2008

Im Konflikt zwischen Russland und Georgien scheint die von beiden Seiten erklärte Waffenruhe lediglich  eine Atempause verschafft zu haben. Zunächst war die georgische Bevölkerung erleichtert und feierte die Waffenruhe in einer Großdemonstration in Tiflis. Die Möglichkeit, Blutvergießen und Zerstörung strategisch wichtiger Ziele zu stoppen, zeichnete sich ab.  Allerdings gingen die russischen Militäroperationen innerhalb Georgiens auch nach dem proklamierten Ende der Kampfhandlungen weiter.

Angesichts der neuen Dimensionen dieses Konfliktes innerhalb Europas und zahlreicher ungeklärter Fragen ist zu befürchten, dass das Ende des offenen Krieges nicht mehr als ein Pflaster auf die klaffenden Wunden des Konfliktes sein könnte. Persönliche Berichte aus Tiflis lassen erschaudern.

Die Bevölkerung ist erschüttert und hat Angst vor russischer Gewalt. Stimmen werden laut, dass der Westen Georgien nicht angemessen unterstützt habe. Das öffentliche Leben ist derzeit weitgehend beeinträchtigt. Die Banken operieren nur begrenzt, öffentliche Busse sind die Ausnahme, die Einwohner Tiflis bleiben vielfach zu Hause und versuchen sich über das Fernsehen ein Bild über das Ausmaß der Schäden und Opfer zu verschaffen.

Erstes Opfer des Krieges war die Wahrheit. Es bleibt unklar, ob, wo und in welchem Ausmaß sich die Kampfhandlungen fortsetzen, wie viele Opfer es gibt und wie weit der Waffenstillstand wirklich tragen wird.

Fluchtwege begrenzt

Viele Familien stellen sich die Frage, ob sie flüchten sollen. Die Antwort scheitert am Machbaren. Die Flugverbindungen nach Europa wurden angesichts der aktuellen Konfliktlage gestrichen, Konsulate sind geschlossen. Die Verkehrswege in die benachbarte Türkei oder nach Azerbaidschan sind kompliziert und riskant. Es bleibt das Nachbarland Armenien. Aber auch dort sind der politische Wille und die logistischen Voraussetzungen zur Aufnahme von Flüchtlingen begrenzt.

Derzeit schaut die Weltöffentlichkeit weniger auf die Olympiade nach Peking als auf den Konflikt im südlichen Kaukasus. Allerdings ist davon auszugehen, dass mit der Einschränkung gewaltsamer Kämpfe auch das internationale Interesse abnehmen wird. Dabei ist es umso dringender, Fragen neuer Qualität und Reichweite zu stellen und adäquate Antworten und Strategien zu diskutieren.

Nach dem Krieg - mehr offene Fragen als davor 

Wie kann eine politische Lösung so weiter entwickelt werden, dass sich auf der Grundlage des Waffenstillstands mittelfristig Statusfragen der territorialen Konflikte lösen lassen? Wie können jenseits von kurzfristigen  Regelungen mittelfristig vertrauensbildende Maßnahmen zwischen den Konfliktpartien entwickelt werden, die Voraussetzung für eine tragbare Friedensordnung in der Region sind? Wollen die Konfliktparteien überhaupt Vertrauen aufbauen oder hat die eine oder andere Seite Interesse an der Fortsetzung der Konfliktsituation?

Welche neuen Herausforderungen stellen sich für das Transformationsland Georgien, das von Fortschritten ebenso wie von Rückschritten bei der Entwicklung hin zu Demokratie und Marktwirtschaft gekennzeichnet ist? Welche Probleme ergeben sich für ein Land mit besetzten Territorien? Wie kann der Westen die Entwicklung einer leistungsfähigen Infrastruktur unterstützen? In welchem Umfang hat der Krieg die Demokratie und die derzeitigen Akteure der Demokratie beschädigt? Können sich politische und personelle Alternativen zur derzeitigen Regierung etablieren?

Gelingt es dem Westen mit einer gemeinsamen Stimme sprechen? Können die Vorkämpfer für enge Beziehungen zu den Nachbarn im Osten Europas wie z.B. Polen und die baltischen Staaten gemeinsam mit Deutschland und den skandinavischen Staaten eine Allianz für eine neue europäische Ostpolitik bilden? Gelingt es, die Handlungsfähigkeit zwischen den transatlantischen Partnern herzustellen? Wird die NATO-Beitrittsperspektive für Georgien und die Ukraine jetzt vollends zur Makulatur, oder gibt es einen realistischen Weg für diese post-sowjetischen Staaten in die westliche Gemeinschaft? Führt dieser Weg möglicherweise eher über die EU als über die NATO?

Welche Konsequenzen ergeben sich im Umgang mit der russischen Führung, die erstmalig nicht davor zurückschreckte, ihren Hegemonialanspruch gegenüber den nach Demokratie und Westintegrationen strebenden postsowjetischen Staaten mit militärischen Mitteln durchzusetzen? In welchen Umfang ist Russland ein verlässlicher Partner auf der internationalen Arena und als Lieferant für europäische Energie? Die Liste der offenen Fragen wird sich entlang der noch unklaren Gesamtlage fortsetzen.

Allianz für eine europäische Ostpolitik

Denn mit dem südlichen Kaukasus marschierte Moskau in ein Land ein, dem die Nato die Mitgliedschaft versprach. Der Westen täte gut daran, sich darauf einzustellen, dass Moskau bei der Verfolgung seiner Interessen die Konfrontation bis ins Militärische hinein nicht mehr scheut. Das zwingt auch die EU dazu, ihre außenpolitischen Linien klarer zu definieren. Soll ein Land wie Georgien, das als Transitland für Gas und Öl zwischen der EU und Zentralasien strategische Bedeutung für den Westen hat, der russischen Einflusssphäre überlassen werden? Die EU wird sich solchen unbequemen Fragen und noch unangenehmeren Antworten stellen müssen, falls sie mehr sein will als ein überflüssiger „Vermittler“ bei der schrittweisen Wiedererrichtung des russischen Imperiums.

Iris Kempe leitet das Süd-Kaukasus-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Tbilisi.

Dossier

Krise im Südkaukasus

Im Konflikt zwischen Georgien und Russland herrscht eine prekäre Waffenruhe. Russland zieht sich nur langsam aus Kerngebieten Georgiens zurück und betreibt die  Loslösung Südossetiens und Abchasiens. Nach wie vor ringen die EU und die USA um ihren Kurs gegenüber Russland. Berichte und Analysen zu Ursachen und Auswirkungen dieses Konflikts.